In der modernen Tierzucht sind geschätzte Zuchtwerte für wirtschaftlich wichtige Merkmale nicht mehr wegzudenken. Dabei werden Abstammungsinformationen und Leistungsdaten kombiniert und mit Hilfe statistischer Verfahren die genetische Veranlagung eines Tieres eingeschätzt. Den österreichischen Züchtern der Milch- und Doppelnutzungsrassen steht bereits seit vielen Jahren eine große Anzahl an geschätzten Zuchtwerten zur Verfügung. Bei den reinen Fleischrassen hingegen ist das Angebot an Zuchtwerten aus verschiedenen Gründen sehr klein und beschränkt sich bisher auf den Bereich der Gebrauchskreuzung. In den letzten Jahren wurde im Auftrag der ZAR von der ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH eine umfangreiche Zuchtwertschätzung (ZWS) für Fleisch- und Generhaltungsrassen in der Reinzucht entwickelt.

Bisher nur Gebrauchskreuzungszuchtwerte

Bereits seit dem Jahr 2000 wird ein „Gesamtzuchtwert“ für Fleckvieh-, Original-Braunvieh- und Fleischrassestiere in der Gebrauchskreuzung zur Verfügung gestellt – der Gebrauchskreuzungszuchtwert (GKZ). Im GKZ werden die Merkmalsblöcke Fleisch und Fitness im Verhältnis von 70% : 30% gewichtet. Im Fleischbereich sind es die Merkmale Nettozunahme und Handelsklasse mit je 25% und die Ausschlachtung mit 20%, der Fitnessbereich setzt sich aus je 15% für den paternalen Kalbeverlauf und den Vitalitätswert zusammen. Diese Zuchtwerte dienen allerdings nur dazu um einen geeigneten (Fleischrasse-)Stier für die Gebrauchskreuzung auf eine Fleckvieh- oder Braunvieh-Kuh zu finden. Für die Fleischrinderzucht werden allerdings die neuen Zuchtwerte in der Reinzucht benötigt.

Neu: Viele Rassen – viele Merkmale

Die neue ZWS wurde für folgende Rassen entwickelt: Angus, Blonde d’Aquitaine, Charolais, Ennstaler Bergschecken, Fleckvieh, Grauvieh, Kärntner Blondvieh, Limousin, Murbodner, Pinzgauer, Pustertaler Sprintzen, Tuxer und Waldviertler Blondvieh.

Die ZWS umfasst folgende Merkmale:

 

Die Zuchtwertschätzungen werden jeweils mit der bestmöglichen Methodik, dem BLUP-Tiermodell, für jede Rasse separat durchgeführt.
Alle Zuchtwerte werden als Relativzuchtwerte mit einem Mittelwert von 100 und einer genetischen Streuung von 12 Punkten veröffentlicht. Als Basis werden die Geburtsjahre der Stiere 5 bis 10 Jahre zurück verwendet (2017: 2007-2012). Die Mindest-Sicherheit beträgt generell 30%. Höhere Zuchtwerte sind züchterisch erwünscht (z.B. höhere Zunahmen, weniger Schwergeburten, niedrigere Zwischenkalbezeit). Die Häufigkeitsverteilung entspricht ungefähr einer Normalverteilungskurve (Abb. 1). Theoretisch kann man die Relativzuchtwerte bezogen auf die aktuelle Population wie folgt interpretieren:
ca. 2/3 der Tiere haben einen Zuchtwert zwischen 88 und 112 ( 1 Standardabweichung)

Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung der Relativ-Zuchtwerte.

 


ZWS Fleisch

In die Fleisch-ZWS gehen Wiege- und Schlachtdaten von Tieren mit unter 25% Fremdgenanteil ein. Es werden nur Einlinge mit bekannten Eltern berücksichtigt.

Wiegedaten:

Es werden alle im RDV vorliegenden Wiegungen ab dem Jahr 2002 verwendet. Dabei werden nicht die veröffentlichten Standardgewichte herangezogen, sondern die originalen Gewichte, da die Alterskorrektur direkt in der ZWS erfolgt.

Folgende Einflussfaktoren werden bei den Wiegemerkmalen im ZWS-Modell berücksichtigt:

 

Schlachtdaten:

Es werden die Schlachtdaten von allen Nutzungsrichtungen (außer Kühe) verwendet, bei Doppelnutzungsrassen (Fleckvieh, Pinzgauer, Grauvieh) also auch von Tieren aus der Milchnutzung. Die Schlachtdaten ab dem Jahr 2008 werden dabei in zwei Altersgruppen (unter bzw. über ein Jahr) aufgeteilt.

Bei den Schlachtmerkmalen werden folgende Einflussfaktoren in der ZWS berücksichtigt:

Die Heritabilitäten (Erblichkeiten) für die direkten Wachstums- bzw. Schlachtmerkmale liegen im Bereich von 20-30%, für die maternalen Merkmale bei ca. 5%. Zwischen den direkten und maternalen Komponenten besteht ein leicht negativer genetischer Zusammenhang. Das bedeutet, dass fleischigere Tiere in der Tendenz weniger Milch geben und umgekehrt.

Veröffentlicht werden letztlich die Zuchtwerte für das direkte 200- und 365-Tage-Gewicht, Nettozunahme, Handelsklasse und das maternale 200-Tage-Gewicht als Hinweis auf die Milchleistung der Mutter. Das Geburtsgewicht dient nur als Hilfsmerkmal, wird aber selbst nicht veröffentlicht. Aus den Zuchtwerten für das 200- und 365-Tage-Gewicht, Nettozunahme und Handelsklasse wird mit Hilfe der Indexmethode ein Fleischrinder-Fleischwert (FFW) errechnet. Die Gewichtung ist in Tabelle 1 zu finden.

Tabelle 1: Gewichtung (%) im Fleischrinder-FW (FFW)

Merkmal

Fleisch- und Doppelnutzung

Generhaltung

200-Tage-Gewicht

29

25

365-Tage-Gewicht

29

25

Nettozunahme

21

25

Handelsklasse

21

25

In Tabelle 2 sind als Beispiel die Nachkommens-Unterschiede zwischen den 20 besten und schlechtesten Fleckvieh-Stieren nach FFW dargestellt. Die Nachkommen der besten Stiere nach FFW sind ca. um 50-60 kg schwerer, weisen eine um ca. 100 g höhere Nettozunahme und eine um 0,3 Klassen bessere Handelsklasse auf.

Tabelle 2: Nachkommens-Unterschiede zwischen den 20 besten und schlechtesten Fleckvieh-Stieren nach FFW (n=257)

Merkmal

Top 20

Flop 20

200-Tage-Gewicht (kg)

286

240

365-Tage-Gewicht (kg)

466

403

Nettozunahme über 1 J. (g)

747

644

Handelsklasse über 1 J. (E=5, P=1)

3,87

3,57

 


ZWS Kalbemerkmale

In die ZWS für Kalbemerkmale gehen die Kalbedaten von Tieren mit unter 25% Fremdgenanteil seit dem Jahr 2000 ein. Es werden nur Einlingsgeburten mit bekannten Eltern berücksichtigt.

Als Merkmal für Kalbeverlauf bzw. Leichtkalbigkeit wird in Österreich die 5-stufige Einteilung der ZAR verwendet:

Für die Zuchtwertschätzung werden Kaiserschnitt und Embryotomie zusammengefasst.

Totgeburtenrate:

Die Totgeburtenrate wird als Ja/Nein-Merkmal in der Zuchtwertschätzung verwendet, wobei auch die Todesfälle bis 48 Stunden nach der Geburt mitgezählt werden. Fehlende Totgeburten- bzw. Verendungsmeldungen werden aufgrund der Daten aus der Tierkennzeichnung korrigiert.

Bei Kalbeverlauf und Totgeburtenrate werden die 1. und höhere Abkalbungen als verschiedene Merkmale aufgefasst. Es ist bekannt, dass eine längere Trächtigkeitsdauer zu größeren Kälbern führt und damit auch zu mehr Geburtsproblemen. Bei der neuen ZWS werden daher die Trächtigkeitsdauer und das Geburtsgewicht als Hilfsmerkmale zur Erhöhung der Sicherheit des ZW Kalbeverlaufs genutzt.

Folgende Effekte werden im ZWS-Modell berücksichtigt:

Die Erblichkeiten für Kalbeverlauf und Totgeburten liegen überwiegend im Bereich von 2 bis 5%, bei Murbodner auch höher. Zwischen den paternalen und den maternalen Merkmalen besteht ein negativer genetischer Zusammenhang.

Bei Kalbeverlauf und Totgeburtenrate werden die Zuchtwerte für die 1. bzw. höhere Abkalbungen im Verhältnis 75%:25% kombiniert. Die Richtung der Zuchtwerte wird gedreht, das heißt, höhere Zuchtwerte sind züchterisch erwünscht und bedeuten weniger Kalbeprobleme und weniger Totgeburten.

Veröffentlicht werden die Zuchtwerte für den paternalen und maternalen Kalbeverlauf und paternale und maternale Totgeburten. Der paternale Kalbeverlaufs-ZW gibt an, wie leicht bzw. schwer die Kälber eines Stieres geboren werden (z.B. abhängig von der Größe des Kalbes). Der maternale Kalbeverlaufs-ZW gibt an, wie leicht bzw. schwer die Töchter eines Stieres abkalben (Beckenform usw.). Bei der Totgeburtenrate gibt der paternale ZW an, wie häufig die Kälber eines Stieres tot geboren werden bzw. verenden (Vitalität, mangelnde Robustheit, usw.), der maternale ZW gibt an, wie häufig Töchter eines Stieres lebensschwache Kälber hervorbringen (Wehenschwäche, Beckenform, usw.). Trächtigkeitsdauer und Geburtsgewicht dienen nur als Hilfsmerkmale und werden aber selbst nicht veröffentlicht.

Als Beispiele für die Interpretation der Zuchtwerte sind in den Abbildungen 2 und 3 die Zusammenhänge zwischen den Zuchtwerten und dem Anteil Schwer- bzw. Totgeburten am Beispiel Fleckvieh dargestellt. Bei den Stieren mit den schlechtesten paternalen Kalbeverlaufszuchtwerten (80 und niedriger) liegt der Anteil an Schwergeburten bei 18% bei der 1. Abkalbung und bei fast 9% bei den weiteren Abkalbungen. Bei den Stieren mit den höchsten Zuchtwerten liegt der Anteil an Schwergeburten nur bei 3 bzw. 1%.

Abb. 2: Zusammenhang zw. dem paternalen Kalbeverlaufs-ZW und dem Anteil Schwergeburten beim Fleckvieh
Abb. 3: Zusammenhang zw. dem paternalen Totgeburten-ZW und dem Anteil Totgeburten beim Fleckvieh

 


 

ZWS Fruchtbarkeit

In die ZWS für Fruchtbarkeit geht die Zwischenkalbezeit (ZKZ) von Tieren mit unter 25% Fremdgenanteil seit dem Jahr 2000 ein. Die Eltern müssen bekannt sein und die ZKZ zwischen 300 und 900 Tagen liegen.

Folgende Effekte werden in der ZWS berücksichtigt:

Als Heritabilität (Erblichkeit) für ZKZ wird 2,5% für alle Rassen verwendet.

Die Richtung des Zuchtwerts wird gedreht, das heißt, höhere Zuchtwerte sind züchterisch erwünscht und bedeuten eine niedrigere ZKZ.

In Tabelle 3 sind als Beispiele die Nachkommens-Unterschiede zwischen den jeweils 20 besten und schlechtesten Stieren der Fleischrassen nach ZW ZKZ dargestellt. Zwischen den besten und schlechtesten Stieren liegen überwiegend ca. 40 Tage ZKZ.

Tabelle 3: Nachkommens-Unterschiede zwischen den 20 besten und schlechtesten Stieren nach ZW ZKZ

Rasse

Top 20

Flop 20

Angus

364

410

Blonde d‘Aquitaine

390

424

Charolais

382

432

Fleckvieh

384

416

Limousin

386

417

 

Gesamtzuchtwert

Der Fleischrinder-Gesamtzuchtwert (FGZW) stellt die mathematische Formulierung des Zuchtziels im Fleischrinderbereich dar. Im FGZW werden die wirtschaftlich wichtigsten Merkmale berücksichtigt, um die Zuchtfortschritte in den einzelnen Bereichen möglichst zu optimieren. Die einzelnen Zuchtwerte werden unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gewichte, der Sicherheiten und der genetischen Korrelationen mit Hilfe der Selektionsindexmethode (Miesenberger, 1997) miteinander kombiniert. Bei fehlenden Zuchtwerten wird der Ahnenindex (Durchschnitt aus Vater und Mutter) verwendet. Die Mindestsicherheit für den FGZW ist 30%.

In den Tabellen 4 und 5 sind die wirtschaftlichen Gewichte für die einzelnen Merkmale zur Berechnung des FGZW dargestellt. Bei den Fleisch- und Doppelnutzungsrassen gehen die direkten Fleischmerkmale mit 35% Gewicht, die maternale Komponente mit 20%, die Kalbemerkmale mit 40% und die Fruchtbarkeit mit 5% in die FGZW-Berechnung ein (Tabelle 4). Bei den Generhaltungsrassen ist das entsprechende Verhältnis 25 : 20 : 50 : 5% (Tabelle 5).

Tabelle 4: Wirtschaftliche Gewichte im FGZW für Fleisch- und Doppelnutzungsrassen
(AA, BA, CH, FL, LI, GR, PI)

Wirtschaftliches Gewicht (%)

Merkmal

innerhalb

im FGZW

Fleischwert (FFW) 200-Tage-Gewicht

29

10

35

365-Tage-Gewicht

29

10

Nettozunahme

21

7,5

Handelsklasse

21

7,5

maternal 200-Tg maternal

100

20

20

Kalbemerkmale Kalbeverlauf paternal

25

10,0

40

Kalbeverlauf maternal

25

10,0

Totgeburten paternal

25

10,0

Totgeburten maternal

25

10,0

Fruchtbarkeit Zwischenkalbezeit

100

5

5

 

Tabelle 5: Wirtschaftliche Gewichte im FGZW für Generhaltungsrassen
(EB, KB, MB, PS, TX, WV)

Wirtschaftliches Gewicht (%)

Merkmal

innerhalb

im FGZW

Fleischwert (FFW) 200-Tage-Gewicht

25

6,25

25

365-Tage-Gewicht

25

6,25

Nettozunahme

25

6,25

Handelsklasse

25

6,25

maternal 200-Tg maternal

100

20

20

Kalbemerkmale Kalbeverlauf paternal

20

10,0

50

Kalbeverlauf maternal

25

12,5

Totgeburten paternal

25

12,5

Totgeburten maternal

30

15,0

Fruchtbarkeit Zwischenkalbezeit

100

5

5

Die Gewichtung im FGZW wurde so gewählt, dass bei Selektion nach FGZW in keinem Merkmal eine genetische Verschlechterung zu befürchten ist. Die höchsten Zuchtfortschritte sind in den Fleischmerkmalen und den maternalen Kalbemerkmalen zu erzielen, aber auch beim maternalen 200-Tage-Gewicht (v.a. Milchleistung der Kuh) sind deutlich positive Selektionserfolge zu erwarten. Bei der Fruchtbarkeit und bei den paternalen Kalbemerkmalen ist mit einer stabilen bis leicht positiven Entwicklung zu rechnen.

Die Zuchtwerte der Besamungsstiere und auch Natursprungstiere werden für alle Rassen auch im Internet in der ZAR/ZuchtData-Zuchtwert-Datenbank zu finden sein (www.zar.at). In Abbildung 4 ist ein Beispiel zu sehen, wie das aktuell bei einem Murbodner-Stier aussieht. Es sind hier die neuen Reinzucht-Zuchtwerte, aber auch die Zuchtwerte in der Gebrauchskreuzung auf Fleckvieh bzw. Braunvieh zu finden.

Abb. 4: Beispielsansicht aus der ZAR/ZuchtData-Zuchtwert-Datenbank (www.zar.at)
Resümee

Die ZWS ist zweifelsohne ein wesentlicher Bestandteil im Zuchtgeschehen und Voraussetzung für eine erfolgreiche Zucht. In die ZWS für Fleisch- und Generhaltungsrassen gehen Daten aus der Mutterkuhhaltung und je nach Rasse auch aus der Doppelnutzung ein. Die Merkmale umfassen die direkten Fleischproduktionsmerkmale, die Milchleistung der Mutter, die Kalbemerkmale und die Fruchtbarkeit. Bei einigen Rassen ist allerdings die Datengrundlage hinsichtlich des Umfanges und der Struktur nicht ausreichend, um nennenswerte züchterische Fortschritte erwarten zu lassen. Hinsichtlich der Datenstruktur ist bei Natursprung der gehäufte oder gar ausschließliche Einsatz eines Stieres auf einem einzigen Betrieb als kritisch zu betrachten, wodurch die Trennung von Genetik und Umwelt sehr schwierig ist. Die Sicherheiten der Zuchtwerte sind dadurch insbesondere bei den Merkmalen mit geringer Erblichkeit eher niedrig.

Bei den größeren Rassen mit hohem KB-Anteil können durch die vorliegenden Zuchtwerte bei entsprechend konsequenter Umsetzung im Zuchtprogramm deutliche Verbesserungen in der genetischen Weiterentwicklung erwartet werden. Zu beachten ist, dass die Zuchtwerte nur innerhalb der jeweiligen Rasse vergleichbar sind, aber nicht zwischen Rassen oder Ländern!

Text und Bilder: Dr. Christian Fürst, ZuchtData